„Das Stadion ist nie unpolitisch.“
Am 24. Juni 2025 fand im Rahmen des Diskussionsformats Club 2×11 die Veranstaltung „Offene Flanke. Rechtsextremismus im Fußball“ statt. Organisiert wurde das Format in Kooperation zwischen den Büchereien Wien, fairplay prevention, dem Verein Wir Frauen im Sport, dem Fußballmagazin ballesterer sowie dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW). Rund 100 interessierte Personen nahmen an der 85. Ausgabe des Club 2×11 teil, um die Schnittstellen von Fußball, Politik und Rechtsextremismus kritisch zu beleuchten.
Moderiert von Jakob Rosenberg, ehemaliger Chefredakteur des ballesterer und aktuell beim DÖW tätig, setzte sich die Diskussionsrunde aus dem Politikwissenschaftler Cas Mudde (University of Georgia), international renommierter Rechtsextremismusforscher und leidenschaftlicher Fußballfan und Groundhopper, der Rechtsextremismusforscherin Bianca Kämpf (DÖW) und dem Antidiskriminierungsexperten Stefan Belabed (fairplay prevention) zusammen.
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Fußball als Spiegel gesellschaftlicher Auseinandersetzungen
Zu Beginn betonte Moderator Jakob Rosenberg, dass der Fußball nie unpolitisch gewesen sei – auch wenn viele Akteur:innen dies gerne behaupten. Cas Mudde unterstrich dies mit zahlreichen Beispielen. Fußball sei historisch stets ein Ort politischer Auseinandersetzungen gewesen – von geschlechterspezifischer Diskriminierung im Frauenfußball bis zur Instrumentalisierung von Weltmeisterschaften. Fußball sei ein Teil der Zivilgesellschaft, in dem sich demokratische wie auch antidemokratische Tendenzen manifestieren könnten. Besonders das Stadion sei dabei ein ambivalenter Raum: Auf der einen Seite als Plattform für antirassistische Solidarität, auf der anderen Seite als Projektionsfläche für rassistische, sexistische oder homophobe Narrative – oft unter dem Deckmantel des „Unpolitischen“.
Ultras können hier etwa emanzipatorisch wirken – wie im Gezi-Park-Protest in der Türkei – oder sich in autoritäre Strukturen einfügen, wie in Serbien.
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Rechtsextremismus in Österreichs Fußballumfeld
Bianca Kämpf zeichnete ein differenziertes Bild der Lage in Österreich. Sie betonte, dass der Fußball an sich kein strukturelles Rechtsextremismusproblem habe, sehr wohl aber Überschneidungen zwischen der rechtsextremen Szene – insbesondere dem neonazistischen Milieu – und Teilen der Hooligan-Subkultur. Besonders deutlich wurde dies während der Corona-Proteste, bei denen Neonazis gezielt als gewaltbereite Akteure eingesetzt wurden.
Ein jüngerer Trend sei die „Verjüngung“ der Szene, etwa bei Gruppen wie „Defend Austria“ oder „Division Wien“. Diese vereinten etablierte Neonazis mit jugendlichen, oft radikalisierten Männern (und zunehmend auch Frauen), die eine identitätspolitische und aggressive Selbstdarstellung suchen – nicht selten unter Rückgriff auf Ästhetiken und Milieus aus dem Fußballumfeld.
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fairplay prevention: Prävention als zivilgesellschaftlicher Anker
Ein zentraler Teil der Diskussion widmete sich der Arbeit von fairplay prevention, das 2022 als Anlaufstelle gegen menschenfeindliche Ideologien im Sport eingerichtet wurde. Projektmitarbeiter Stefan Belabed präsentierte aktuelle Fälle aus dem Monitoring: rechtsextreme Tattoos bei Fans bei der UEFA EURO 2024, Banner mit identitären Slogans („Defend Europe“) oder antisemitische Vorfälle bei Fanaktionen in Österreichs Stadien.
Dabei betonte Stefan, dass die dokumentierten Fälle nur einen kleinen Teil des tatsächlichen Problems widerspiegelten. „Wir sehen nur das, was gemeldet wird – vieles bleibt im Verborgenen“, so Belabed. Dennoch sind diese Einzelfälle Anlass, um mit Vereinen, Verbänden und Fanorganisationen ins Gespräch zu treten, präventive Maßnahmen zu setzen und langfristig Strukturen zu schaffen, die für Vielfalt und gegen Extremismus stehen.
fairplay prevention agierte dabei nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern suchte das Gespräch. „Es geht nicht darum, jemanden bloßzustellen, sondern Realität sichtbar zu machen“, betonte Belabed. Anknüpfungspunkte gibt es viele: Von Workshops mit Jugendteams über Sensibilisierungsmaßnahmen für Trainer*innen bis zur Zusammenarbeit mit Bundesliga-Klubs. Stefan Belabed lobte dabei positive Entwicklungen – etwa die Installierung einer hauptamtlichen Diversitätsbeauftragten bei Rapid Wien – betonte jedoch, dass viel zu tun bleibe.
Wunsch nach Verstetigung und Verankerung
Ein zentrales Anliegen, das mehrfach in der Diskussion artikuliert wurde, sei die Notwendigkeit, Projekte wie fairplay prevention über das geplante Projektende im Dezember 2025 hinaus abzusichern und stärker in die Strukturen des organisierten Sports zu integrieren.
Aktuell sei die Arbeit stark projektbezogen, mit begrenzten Ressourcen und fehlender institutioneller Absicherung. Doch (Rechts-)Extremismusprävention sei kein Sprint, sondern ein Marathon, so der Tenor. Ohne eine strukturelle Verankerung – etwa durch verpflichtende Aus- und Fortbildungen in Verbänden und Vereinen, der Einbindung in der außerschulischen Jugendarbeit oder klare Regelwerke für den Umgang mit menschenfeindlichen Vorfällen – blieben viele Bemühungen punktuell und wirkten nicht nachhaltig.
Der Appell an die Politik, an den organisierten Sport und an zivilgesellschaftliche Partner war deutlich: Es braucht langfristige Finanzierung, institutionelle Einbindung und politische Rückendeckung, um gegen rechtsextreme und diskriminierende Tendenzen im Fußball wirksam vorzugehen.
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Das Stadion als „Freiraum“
In der Diskussion wurde vielfach auf das Stadion als „Freiraum“ verwiesen – als Ort, an dem gesellschaftliche Normen ausgesetzt erscheinen. Cas Mudde warnte jedoch davor, dies zu idealisieren: „Das Fußballstadion heute ist einer der repressivsten Räume, die wir haben – organisiert von UEFA und FIFA. Nicht nur im Stadion selbst, sondern auch rundherum herrscht ein Ausnahmezustand mit eingeschränkter Rechtsstaatlichkeit. Und das alles wird akzeptiert, ohne dass darüber debattiert wird – wegen des Schreckgespensts des Neonazi-Hooligans.“
Bianca Kämpf ergänzte, dass rechtsextreme Gruppen den Wunsch nach unpolitischen Räumen bewusst für ihre Ideologie nutzen würden. Durch Narrative wie die „linksextreme Meinungsdiktatur“ positionierten sie sich als Verteidiger eines „wahren“ Fußballs und zielten damit gezielt auf „normale“ Fans ab, die sich durch Kommerzialisierung und Politisierung des Sports entfremdet fühlten.
Zwischen Repression und Bildungsarbeit
In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde die Rolle von Repression kritisch reflektiert. Während klar sei, dass strafbare Handlungen geahndet werden müssten, wurde betont, dass Verbote allein selten langfristige Wirkung zeigten. Notwendig sei ein breiter gesellschaftlicher Ansatz, der auf Dialog, Bildung und strukturelle Veränderungen in Vereinen setze. Veränderung müsse aus der Mitte der Fankulturen selbst entstehen – durch Bildung, Auseinandersetzung und Empowerment.
Fazit
Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll, wie tief Rechtsextremismus, Identitätspolitik und gesellschaftliche Konflikte in die Fußballwelt hineinwirken – und wie wichtig es ist, den Fußball nicht als unpolitischen Raum zu begreifen, sondern als Bühne gesellschaftlicher Aushandlung.
Gleichzeitig wurde klar: Die Präventionsarbeit von Initiativen wie fairplay prevention ist ein unverzichtbarer Baustein im Kampf gegen Rechtsextremismus. Damit sie wirksam bleibt, braucht es langfristige Perspektiven, strukturelle Anbindung und den Mut, das Stadion nicht als rechtsfreien Raum, sondern als demokratischen Resonanzraum zu begreifen.
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