Ulrike Lunacek im FairPlay-Exklusivinterview: „Fußball für Frauen wird als Überschreitung der Geschlechternormen betrachtet“

Mehrere Hundert Frauen, Mädchen und Burschen haben sich an der JUMP-Fotokampagne beteiligt, die 2010 im Rahmen des EU-Projekts „Olympia – Sport macht Frauen stark!“ von FairPlay-VIDC gestartet wurde. Zum Abschluss des Projekts zeigt auch die Europaparlamentarierin Ulrike Lunacek ihre Solidarität mit den Anliegen der JUMP-Kampagne. In einem exklusiven Interview spricht sie über den Frauenfußball, die Changen, die Sport Frauen und Mädchen eröffnet, über bestehende Problemfelder und mögliche Lösungsansätze.

FairPlay: Die JUMP-Kampagne im Rahmen des EU-Projekts „Olympia – Sport macht Frauen stark!“ hat das Ziel, Mädchen und Frauen im Sport zu fördern, ihre großartigen Leistungen sichtbar zu machen und sie in ihren Anliegen und Bedürfnissen zu stärken. Sie unterstützen die Kampagne. Warum?

 

Ulrike Lunacek: Die JUMP-Kampagne motiviert für einen wichtigen Bereichen unsers Lebens: Sport. Leider wird die Bedeutung des "Sportelns" nicht in jeder Familie, in jeder Schule so vermittelt, dass Mädchen von klein auf so viel Spaß an Bewegung und Sport entwickeln, dass sie die Freude an sportlichen Aktivitäten über die Pubertät hinaus ins Erwachsenenleben hinüberretten - auch und gerade in früher "rein männlichen" Sportarten. Traditionelle Grenzen sollten heutzutage keine Rolle mehr spielen. Das Sichtbarmachen dieser Möglichkeiten durch Initiativen wie "JUMP" schätze ich sehr.

 

Warum ist gerade der Sport ein wichtiger Bereich um die Gleichstellung von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft zu fördern?

 

Meine Theorie, warum Mädchen und Frauen mehr Fußball spielen sollten: Was man - aber auch frau ;-) - schon im Kindesalter, etwa im Fußball, lernt, ist etwas, was Frauen im beruflichen, aber auch privaten Alltag sehr hilfreich sein könnte: gemeinsam mit anderen ein Ziel definieren und, dieses Ziel vor Augen, das Trennende, die Konkurrenz, etwaige persönliche Animositäten in den Hintergrund treten lassen und mit aller Kraft und allem Engagement das Ziel erreichen zu wollen, es erreichen und das Erreichte dann gemeinsam feiern. Und wenn dies nicht gelingt, die Situationen und Fehler analysieren und es das nächste Mal besser machen. Das ist etwas, was wir insbesondere bei Teamsportarten lernen können, von klein auf.  

Der von Frauen gespielte Fußball unterscheidet sich in Bezug auf Regelwerk, Spielweise, Taktik und Strategie nicht vom Fußball der Männer. Er hat eine turbulente Geschichte – zeitweilig galt er als moralisch verwerflich – und kämpft noch immer um gesellschaftliche Anerkennung. In der Geschichte des Frauenfußballs nahm Österreich ursprünglich eine Vorreiterrolle ein. Bereits 1936 entstand eine Meisterschaft für Frauenteams, die allerdings nur kurze Zeit Bestand hatte. Die höchste Spielklasse, die ÖFB-Frauenliga, wurde 1972 gegründet und das österreichische Fußballnationalteam der Frauen besteht seit 1990.

 

Wo sehen Sie einen besonderen Förderbedarf von Frauen und Mädchen im Sport?

 

„Wir können uns gar nicht leisten, Frauen nicht zu fördern“; sagte einst Heike Ulrich, Ex-Nationalspielerin und DFB-Funktionärin. Doch Mädchen und Frauen sind in unserem Sportsystem leider nach wie vor unterrepräsentiert. Dabei sind Bewegung, Sport und Spiel hervorragende Mittel, um Mädchen und Frauen emanzipatorisch zu fördern. Denn viele Mädchen und Frauen brauchen Möglichkeiten und Ermunterung, ihr Selbstvertrauen zu entwickeln, sich und ihre Fähigkeiten in den Mittelpunkt zu stellen, Führungsrollen zu übernehmen. Sport, und besonders männerdominierte Sportarten, sind ein gutes Übungs-Areal dafür: Sport macht Mut zum Ausprobieren, zum Sich-Ziele-Setzen, zum Lernen von Taktiken- und Strategien-Entwickeln, von Siegen und Verlieren. Selbstbehauptung wird trainiert, so kann Sport ein effektiver Weg sein, Mädchen und Frauen zu ermächtigen, zu "empowern".

Wichtig ist auch die Förderung im öffentlichen Raum: So gibt es zum Beispiel in Wien Projekte, in denen die öffentlichen Ballspielplätze auch Mädchen zur Verfügung gestellt werden - nicht einfach, wenn die Burschen finden, diese Plätze gehören ihnen, und die Mädchen können ja eh nicht richtig Fussball, Basketball oder was immer spielen... Hier braucht es Regeln und Mädchen bzw. junge Frauen, die bei den ihnen zugesicherten Zeiten den öffentlichen Raum dann auch in Anspruch nehmen. Auch Kampagnen gegen Homophobie sind hilfreich - denn oftmals wird Mädchen, wenn sie etwa an Fußball Gefallen finden, unterstellt, sie seien lesbisch -  was ja auch kein Problem sein sollte, doch Vorurteile gegen lesbische Frauen prägen unsere gesamte Gesellschaft, und v.a. die Sportwelt, immer noch.

Sport und die Förderung von Frauen im Sport ist auch ein Beitrag zur Prävention von Gewalt gegen Mädchen und Frauen - ein größeres Angebot im Bereich der Selbstverteidigung macht dafür Sinn.

 

Welche Maßnahmen trifft die EU zur Förderung von Frauen und Mädchen im Sport?

 

Da die Kommission über keine Kompetenzen im Sportbereich verfügt, legen die Mitgliedstaaten die Prioritäten für Sport und Geschlechterfragen auf EU-Ebene fest. Gleichstellung zwischen den Geschlechtern ist nichtsdestotrotz eine Priorität und ein Auswahlkriterium in allen Programmen, die von der EU unterstützt werden und von denen einige sportbezogene Projekte finanzieren können. Im Juli 2003 gab es die erste <link http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P5-TA-2003-0269+0+DOC+PDF+V0//DE _blank external-link-new-window>Resolution des Europaparlaments über Frauen und Sport</link>. Sie behandelt eine Vielzahl von Aspekten, wie Sportstrukturen, Sport an Schulen, Hochleistungssport, gesundheitliche Aspekte und größere Beteiligung an Entscheidungsprozessen.

Im Jahr 2005 gab es die zweite Resolution des EP, das Geschlechtergleichheit als Ziel von Sport bei Entwicklungsinitiativen festlegt. Weiters wird darin betont, dass die Weltkonferenz zu Frauen und Sport zu bedeutenden Fortschritten im Bereich des Frauensports überall in der Welt geführt hat.

Im Juli 2010 veröffentlichte die Kommission das <link http://ec.europa.eu/sport/white-paper/index_en.htm _blank external-link-new-window>Weißbuch Sport </link>  und den begleitenden<link http://ec.europa.eu/sport/news/news1013_en.htm _blank external-link-new-window> Aktionsplan</link>.

Beide betonen die Notwendigkeit, Geschlechterfragen in alle sportbezogenen EU-Aktivitäten einzubinden.

 

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

 

Gerade erst hat der Vizechef der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gemeint, Sport sei für Frauen ungesund... Er ist inzwischen zurückgetreten und meinte, sich korrigierend, er hätte sich auf den Leistungssport bezogen, und der sei, das sage er als Arzt, für Frauen wie Männer ungesund... Da mag schon was dran sein, aber gerade die Religionsgemeinschaften sollten nicht in Verruf kommen, von Frauensport abzuraten. Derartige extreme Meinungen haben damit zu tun, dass sporttreibende Frauen immer noch oft als "unweiblich" betrachtet werden - hier braucht es Anreize, weibliche Vorbilder sollten in den (medialen) Vordergrund gestellt werden, sowohl im Breiten- wie im Spitzensport. Und in den Schulen sollte Sport eine wichtigere Rolle spielen - ich habe selbst bei einem Schuljahr in den Vereinigten Staaten erlebt, wie Sport die Schulgemeinschaft zusammenhalten kann, das gibt es bei uns kaum. Etwas Positives, woran ich mich in meiner Wiener Schule erinnere, ist, dass erfolgreiche Schülerinnen ein eigenes Foto am Gang hatten - und da waren so erfolgreiche Sportlerinnen wie Trixi Schuba (Eiskunstlauf) und Ilona Gusenbauer (Hochsprung) dabei!

Von extremen, dramatischen Auswirkungen von Sexismus und dem Vorurteil, Sport sei "unweiblich" habe ich vor kurzem im Magazin "Frauensolidarität" vom Februar 2011 gelesen: Die südafrikanische Fußballnationalspielerin Eudy Simelane wurde 2008 vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Sie starb nur ein paar Meter weit vom Haus ihrer Familie. Simelane war ein prominentes Opfer, und ihr Fall brachte internationale mediale Aufmerksamkeit. 2009 ist eine weitere Teamkollegin von Simelane, Girlie Nkosi, bei einem ähnlichen Vorfall ums Leben gekommen. Es ist kein Zufall, dass beide Frauen Fußballerinnen waren. In einem Land, das Fußball noch immer als einen Sport für Männer definiert, wird Fußball für Frauen als eine Art Überschreitung der Geschlechternormen betrachtet, genauso wie Lesbischsein.

 

Sie sind selbst aktive Sportlerin. Welche Fähigkeiten - nicht nur auf sportlicher Ebene - kann frau sich durch Sport aneignen?

 

Sport betrachte ich als eine Lebensschule. Durch Sport lernt frau zu kämpfen, sich durchzusetzen, Kraft zu entwickeln, die gesetzten Ziele zu erreichen. Ich selbst schwimme mehr oder weniger regelmäßig  - mein Leben zwischen Wien und Brüssel läßt wirkliche Regelmäßigkeit kaum zu - und nehme auch jährlich an den lesbischwulen EuroGames teil. Heutzutage sind "Powerfrauen" gefragt und Sport bringt sowohl Freude an Bewegung als auch eine Pause im Kopf und in der Seele vom stressigen Arbeitsalltag.

 

Die Frauenfußball WM in Deutschland ist in der heißen Phase. Ihr Tipp: Wer wird Weltmeisterin?

 

Das deutsche Team startete als Gastgeberin und Titelverteidigerin das WM-Turnier. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass die deutschen Ballkünstlerinnen, von den zahlreichen Fans auf einer Welle der Euphorie getragen, wieder gewinnen. Aber gerade im Sport gibt es oft Überraschungen...

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