Afrika-Cup in Côte d’Ivoire nach den Achtelfinali: Drama, Auferstehungen und Akademien

Teil zwei des Berichts vom Afrika-Cup von Kurt Wachter. Dieses Mal aus Abidjan.


Wundertüte Afrika-Cup 2023

Dieser Afrika-Cup ist so unterhaltsam wie schon lange nicht mehr. Und er steckt voller Dramen und Überraschungen. Seit Ägypten beim Afrika Cup 2010 ist kein Titelverteidiger mehr über das Achtelfinale hinausgekommen. Heuer war für Senegal, die vor zwei Jahren in Kamerun erstmals den Titel holten, gegen den bislang schwachen Gastgeber Schluss. Nach dem blamablen 0:4 gegen Äquatorialguinea, wurde der Trainer entlassen, noch bevor man glücklich als Gruppendritter in die KO-Phase rutschte. Schon beim Ausgleich zum 1:1 durch einen Elfer des eingewechselten Franck Kessie, gab es beim Public Viewing in Treichville, einem Stadtteil Abidjans, kein Halten mehr. Als schließlich Côte d’Ivoire das Elferschießen für sich entscheiden hat, werden überall Feuerwerke gezündet, die Euphorie scheint grenzenlos.

Der Gastgeber erlebte im Stadion von Yamoussoukro, der bizarren Hauptstadt mit der größten römisch-katholischen Kirche der Welt, eine wahre Auferstehung und gehört jetzt wieder zu den ernsthaften Titelanwärtern. 
Doch nicht nur das passive Senegal erwischte es bereits im Achtelfinale, sondern auch die hochfavorisierten Marokkaner. Bei der FIFA-WM in Katar noch sensationell im Halbfinale, reichte Südafrika eine eingespielte Teamleistung, um Marokko mit 2:0 zu verabschieden. Schließlich musste auch der siebenfache Champion Ägypten die Koffer packen. DR Kongo war gegen ein alterndes Ägypten ohne Superstar Mohammed Salah das agilere Team und setzte sich nach einem 1.1 im Elferschießen durch. Omar Marmoush von Eintracht Frankfurt saß zunächst nur auf der Bank. Seit Tagen renne ich einem Interview mit dem Ex-Wolfsburger hinterher. Der Medienbeauftragte des ägyptischen Verbands, Mister Mourad, verspricht mir am Tag zu vor: „Wenn wir gewinnen, werden wir am Montag nach Abidjan zurückkommen, dann können wir das Interview machen.“ Soweit kommt es nicht. Dass Ägypten ausscheidet, ärgert mich daher persönlich. Im Fußball und noch mehr in Westafrika darf man seine Pläne nie zu rigide fassen.

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Ausflug ins Ebimbe Stadion

Was aber jedenfalls auf meinem Plan steht, ist ein Spiel im Finalstadion. Mit Baukosten von 163 Milliarden Francs CFA (€248,5 Mill Euro) ist das neue Stadion Stade Olympique Alassane Ouattara d’Ébimbé das Prunkstück der ambitionierten Gastgebernation. 

Erstmals seit meiner Ankunft vor elf Tagen mache ich mich auf den Weg ins 25 km vom Zentrum Abidjans entfernte Stade Alassane Ouattara. Das Achtelfinale Äquatorial-Guinea versus Guinea steht auf dem Spielplan, kein Klassiker, aber die Aussicht auf ein Spiel mit weniger Hektik drumherum. Im Taxi geht es geht Richtung Norden zuerst durch das grüne und reiche Cocody, dann durch das weniger reiche Yopougon, dem Stadtteil in dem Didier Drogba aufgewachsen ist. Schon weit vor dem Stadion beginnt der Stau, dann dürfen nur mehr Busse weiterfahren, ich steige auf ein Motorradtaxi um. Der junge Fahrer will noch einen zweiten Fahrgast mitnehmen, doch ich protestiere erfolgreich, dann ist auch für Motos Schluss. Ich bewege mich im Strom der vorwiegend guineischen Fans weiter und erblicke erstmals die imposante Arena in der offenen Landschaft. Ich treffe Moussa Bamba aus Abidjan, der arbeitet für das Parlament und wird die Medienkonferenz auf Arabisch übersetzen. Wir finden rasch den Eingang für die Medienleute, ich erhalte sogar noch eine Zutrittskarte für die Medienkonferenz nach dem Spiel. Als ich mich auf der weit oben gelegenen Pressetribüne niederlasse, hat das das Match hat schon begonnen. Und die Kulisse ist für ein solches Spiel ist beindruckend.

Das riesige Oval mit einer Kapazität von 60.000 mit offiziell 36.340 Fans erstaunlich gut gefüllt. Begleitet von einer Brassband legt sich die organsierte Fanabordnung Guineas ins Zeug, nicht minder organsiert die Choreographie der rot gewandeten Äquatorial-Guinea Fans, die das ganze Spiel durch Tanzen. Auf dem Rasen agieren beide Teams zunächst verhalten. Die Temperaturen sind am späten Nachmittag aufgrund rund des trockenen Harmattan Winds aus der Sahara durchwegs erträglich. Das Überraschungsteam aus Äquatorial Guinea hat die Gruppe souverän vor Nigeria gewonnen und dabei Gastgeber Côte d’Ivoire mit 4:0 erniedrigt. Autokrat Teodoro Obiang Nguema erklärte den Tag darauf zum staatlichen Feiertag, um den Sieg zu feiern. Herz eines Teams aus Nicht-Stars ist der 34-jährige Kapitän Emilo Nsue, er hat 2011 mit Spanien noch die U21 EM gewonnen, spielt aber wie 15 weitere in Spanien geborene Spieler für Äquatorialguinea.

Nach der Roten Karte für Federico Bikoro (55. Min.) und der Einwechselung des Stuttgarters Serhou Guirassy ist das Momentum auf Seiten Guineas. Nach einem Foul von Sylla an Iban greift der VAR – wie so oft bei dem Turnier - ein: Elfmeter für Äquatorialguinea (68. Min.). Der führende der Torschützenliste (5 Tore) Nsue tritt an und lenkt den Ball an den rechten Außenpfosten. Das Spiel endet mit einem dramatischen Kopfball von Mohamed Bayo in der achten Minute der Nachspielzeit. Guineas trifft im Viertelfinale auf die Demokratische Republik Kongo.

Die Abfahrt vom Ebimbé Stadion zurück im Zentrum verlief dann etwas weniger glatt als erhofft. Die vielen Journalisten und im Vergleich zu früheren Afrika-Cups sichtbar mehr Journalist*innen stürmten Vehemenz zu den bereitgestellten Medienbussen. Niemand wollte spät am Abend die Rückfahrt ins Medienzentrum in Treichville verpassen. Eine unnötige Drängerei war die Folge.

Folgenschwerer als eine verlief eine nächtliche Fahrt dem offiziellen Medienbus von Yamoussoukro zurück in die Wirtschaftsmetropole Abidjan. Nach dem Spiel Senegal – Guinea kollidierte um 2 Uhr in der früh der Bus mit einer Wand eines Lagerhauses. Am schwersten wurde der Busfahrer verletzt. Alex Cizmic, der den afrikanischen Fußballblog Kura Tawila und andere Journalisten kamen mit Knochenbrüchen und Prellungen davon. Meine Entscheidung nach dem Spiel in Yamoussoukro zu bleiben und nicht in den Bus zu steigen war im Nachhinein gesehen eine glückliche.

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Transfer von jungen Spielern nach Europa: Zwischen Bildung und Ausbeutung

Wer sich mit afrikanischem Fußball beschäftigt hat, stößt unweigerlich auf den Namen Jean-Marc Guillou und seine Jugendakademien. Der ehemalige französischen Teamspieler und spätere Trainer, den alle nur JMG nennen, ging 1993 als Sportdirektor zu ASEC Mimosas, dem erfolgreichsten Verein von Côte d’Ivoire. 1994 gründete er die legendäre ASEC-Jugendakademie in Sol Béni, Abidjan.

Über einen belgischen Spieleragenten erhalte ich den Kontakt zum Adoptivsohn von Jean-Marc Guillou. Der arrangiert ein Treffen mit JMG in seinem noblen Domizil im Stadtteil Riveria-Golf, gleich hinter der US-amerikanischen Botschaft. Der mittlerweile 78-jährige sitzt entspannt auf seinem Designersofa, sein junger Sohn Jonathan übersetzt meine Fragen ins Französische.

Auf die Frage was JMG bewegte eine Karriere als Trainer in Europa (OGC Nice, Neuchâtel Xamax, AS Cannes) zu verlassen und an die Elfenbeinküste zu gehen, sagt er:

„Nun, einfach die Tatsache, dass es hier möglich war, Dinge zu tun, die in Europa fast unmöglich waren. Wenn man damals in Europa Kinder ausbilden wollte, waren sie 10 oder 11 Stunden in der Schule, das war schwierig. Und hier in Afrika war es viel einfacher. Es gab viele gute junge Spieler und viele gingen nicht zur Schule, also konnten wir sie dazu bringen, zur Schule zu gehen und gleichzeitig Fußball zu spielen. Also mussten wir Pädagogen finden und begannen, mit jungen Leuten zu arbeiten, die Talent hatten.“

Die Erfolge seiner Methode wurden bald sichtbar. Beim CAF Super Cup 1999 zwischen ASEC Mimosas und Espérance de Tunisie war JMG Trainer von ASEC und entschied eine Mannschaft aus Akademie-Teenagern antreten zu lassen - mit dabei Kolo Touré, Aruna Dindane oder Didier Zokora, der Älteste war der 19-jährige Torhüter Boubacar Copa. Das Spiel in Abidjan endete sensationell mit 3:1.

Von 2001 ging Guillou als Sportdirektor zum belgischen Erstligisten KSK Beveren und setzte erneut auf seinen Akademiespieler. Über seinen Freund Arsene Wenger landeten Talente wie Emmanuel Eboué oder Gervinho bei Arsenal. Der vierfache afrikanischer Fußballer des Jahres, Yaya Touré, machte bei Barcelona und Manchester City Karriere.  

Bei der WM 2006 wurden von den 23 Spieler nicht weniger als 11 in der Academie de Sol Béni ausgebildet. Später gründete Guillou Akademien auf der halben Welt, von Bamako in Mali über Nordafrika bis Madagascar und Vietnam. Die Akademie von JMG wurde zum vielkopierten Prototyp von mittlerweile in die hunderte gehenden Fußballakademien im sub-saharischen Afrika.

Die Akademie JMG Bamako fungiert auch als eine Art Werkbank für Red Bull Salzburg. Die Liste von malischen Spielern die in die Mozartstadt transferiert wurde ist beachtlich: Amadou Haidara, Diadie Samassekou, Mohamed Camara, Nene Dorgeles, Douda Guindo, Sekou Koita, Youba Diarra, Mamady Diambou, Mamadou Sangare oder Ousmane Diakite.  

Jean-Marc Guillou weiß die den FC Salzburg zu schätzen. „Wir hatten viele Transfers mit Salzburg, weil sie unsere Spieler gut fanden“, sagt Guillou. „Die Verhandlungen, die wir geführt haben, waren immer sehr klar definiert. Außerdem spielt Liefering in der 2. Liga. Das ist gut so, denn unsere Spieler gehen zunächst nach Liefering und können sich dort eingewöhnen“.

Alle zwei Jahre organsiert JMG Bamako eine zweiwöchige Sichtung ihrer besten Spieler, bei der sie exklusiv RB Salzburg einladen, um Talente zu sichten.

„Die nächste Promoaktion beginnt Mitte März. Wir zeigen ihnen Spieler, die sich bei der U17-WM im Dezember hervorgetan haben. Wir zeigen ihnen Spieler wie Hamidou Makalou. Durch diese Aktion können sie die Spieler vor allen anderen zu sehen, sie können sich ein oder zwei Spieler aussuchen und der Jugendliche wird dann in Salzburg sein und dort trainieren und spielen. So können sie vergleichen.“

Mit dem Aufschwung des afrikanischen Fußballs in den europäischen Ligen ab dem Viertelfinaleinzugs Kameruns 1990, rückten der Fokus auch auf die Schattenseiten der Migration junger, westafrikanischen Spieler nach Europa. Jean- Marc Guillou galt damals als Beispiel eines „Menschenhändlers“ der sich am Handel mit Jugendlichen bereichert. Ich frage Guillou daher was für ihn welchen Unterschied es zwischen Ausbeutung und Bildung ausmacht.    

„Ich werde oft wie ein Sklavenhändler behandelt. Es besteht jedoch ein grundlegender Unterschied zwischen der Ausbeutung von Talenten und der Ausbildung von Talenten. Der Ausbeuter ist jemand der noch nie etwas getan hat. Er tritt auf als Agent, der Spiele beobachtet. Dann nimmt er einen Spieler, weil er findet, dass er gut ist, dann wird er die Eltern sehen und ihnen 1000 € zahlen. Er hat nichts für den Spieler getan, sie benehmen sich wie Hausbesetzer. Ein Erzieher ist jemand, der junge Menschen ausbildet und ihm Chancen eröffnet, das ist der Unterschied.“

Beim Smalltalk wollte ich von dem ehemaligen Spieler bei der WM 1978 für Frankreich gespielt, erfahren, was er vom ivorischen Jungstar Karim Konaté von RB Salzburg halte? JMGs knappe Antwort: „Ich kann nicht alle Spieler kennen.“

Jetzt heißt es für mich das das freundliche und fußballbegeisterte Land zu verlassen und nach Ghana zu fahren. In Accra gibt es spannende Fußballprojekte.

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P.S.: Und eine reporterische Niederlage ist zu berichten, Sturm-Spieler Bryan Teixeira ist mir zweimal in der Mixed Zone entwischt, beim Sieg über Mosambik und auch nach dem 1:0 von Kap Verde gegen ein starkes Mauretanien. Beim Viertelfinale Kap-Verde gegen Südafrika habe ich das Land verlassen und es bietet sich keine dritte Chance mehr.

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Die Beobachtung der menschenrechtlichen Situation und die Berichterstattung vom 34. Afrika Cup ist Teil des von der Austrian Development Agency (ADA) geförderten Projekts Unser Spiel für Menschenrechte.

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