„Rassismus hat immer Platz!“

Nachbericht vom Club 2×11 „Imperiales Spiel – Wie lässt sich der Fußball dekolonisieren?“ am 8. Mai 2025.


Der moderne Fußball ist ein kulturelles Produkt des viktorianischen Englands. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Spiel von den europäischen Kolonialmächten in die ganze Welt exportiert. Über Sport sollten die „Untertanen“ zivilisiert und gefügsam gemacht werden. Wie stark ist der heutige Fußball von seinen kolonialen und rassistischen Ursprüngen durchdrungen? Welche imperialen Männlichkeitsbilder leben fort? Wie erfolgte die Aneignung des Spiels in Afrika oder Brasilien? Wer profitiert von Spielertransfers aus dem Globalen Süden und wie global ist der Weltfußball wirklich? Und: Lässt sich der Fußball überhaupt dekolonisieren?

Um diese Fragen mit Ronny Blaschke, Bella Bello Bitugu und Henrie Dennis zu diskutieren, luden die fairplay Initiative, der ballesterer, die Büchereien Wien und Wir Frauen im Sport zum Club 2×11.

Moderatorin Mareike Boysen, Generalsekretärin von Wir Frauen im Sport, begann die Podiumsdiskussion mit der Darstellung eines Vorfalls bei einem Spiel im oberösterreichischen Amateurfußball, als die Mannschaft des ASKÖ Ebensee abtrat, nachdem ihr Spieler aus dem Senegal von einem Zuschauer rassistisch beschimpft worden war.

Ronny Blaschke, Journalist und Autor des Buchs „Spielfeld der Herrenmenschen“, antwortete, dass es gar nicht so oft vorkomme, dass eine Mannschaft aufgrund von Rassismus das Spielfeld verlasse. Oft herrsche die Meinung vor, dass man den Rassisten nicht einfach den Platz überlassen könne. „Auch dieser sogenannte Drei-Stufen-Plan der UEFA ist falsch, also Rassisten bekommen nochmal zwei neue Chancen, das ist ja absurd. Wenn so etwas passiert, ist es eigentlich viel zu spät, da ist im Vorfeld schon einiges falsch gelaufen“, antwortete Blaschke. Das gegnerische Team und der betreffende Zuschauer wurden vom OÖFV zwar zu Geldstrafen verurteilt, das Spiel allerdings entsprechend der Rechtspflegeordnung des ÖFB mit 0:3 gewertet. „Wichtig wäre die Erkenntnis“, so Blaschke weiter, „dass Rassismus überall Platz hat, weil wir in einem rassistischen System und in rassistischen Strukturen leben. Das sieht man z.B. an den Sportmedien, an den Präsidien, an den Entscheidungspositionen, wo in der Regel weiße Herren sitzen.“

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Ideologien, Institutionen und Fußball

Auch für Bella Bello Bitugu, Sport for Development Experte an der University of Ghana und in den 90ern erster Schwarzer Schiedsrichter in Tirol, sind es mitnichten Einzelfälle, sondern die gesamtgesellschaftlichen Strukturen bewirken rassistische Übergriffe und lösen diese aus: „Die Vorfälle im Fußball haben nicht dort ihren Ursprung, sondern kommen aus den Ideologien, aus der Erziehung, der Art und Weise, wie Verhalten aus der Gesellschaft von den Menschen übernommen wird. Das manifestiert sich dann auch am Fußballplatz.“

Henrie Dennis, Gründerin von Afro Rainbow Austria, ehem. Fußballerin bei USV Nappersdorf und Footballerin bei den Vienna Vikings Ladies, erzählte auf die Frage der Moderation, ob es im Zuge der Verrohung der politischen Debatten und des Klimas vermehrt zu rassistischer und homophober Gewalt komme, von ihren persönlichen Erfahrungen. Dennis sagte: „Rassismus war immer Teil der 'Institution Österreich', der Institutionen, das beeinflusst z.B. die Migrationspolitik. Es gibt zwar viele zivilgesellschaftliche Organisationen, viele Individuen, die viele gute Sachen machen, aber das kratzt nur an der Oberfläche des Rassismus, das ist leider nicht genug. Auf einer persönlichen Ebene ist es diese Mikroaggression, mit der ich im Alltag immer wieder konfrontiert werde und mit der ich leben muss.“ Es müsse auf gesamtgesellschaftlicher Ebene stärker gegen Rassismus agiert werden, Anti-Rassismusarbeit könne nicht der alleinige Job von jenen Menschen sein, die selbst von Rassismus oder anderen Formen von Diskriminierung betroffen sind.

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Schwarze Körper, weiße Fankurven und „Integration“ durch Tore

Ronny Blaschke bekam während seiner Recherche-Reisen von Spieler*innen erzählt, dass sie viel Kraft aufwenden müssten, um gegen Klischees, Vorteile, Erwartungen anzukämpfen, und um diese nicht zu bestätigen. Die Kolonialmächte mussten ja die Ausbeutung anderer Kontinente rechtfertigen und sie hätten mit Hilfe der Pseudowissenschaften „Menschenrassen“ erfunden. „Dazu kommt die Hierarchie der weißen intellektuellen Überlegenheit und der Schwarzen körperlichen Überlegenheit, für die es aber keine wissenschaftlichen Beweise gibt,“ so Blaschke. Für ihn sei es ebenfalls struktureller Rassismus, wenn die Diversität der Mannschaften gefeiert werden, diese Diversität in den Vereins- und Verbandsstrukturen oder den Fankurven aber praktisch nicht sichtbar sei. Fußball sei zwar durch den Kolonialismus auf die anderen Kontinente gebracht worden, habe sich aber später auch zu einem Ort antikolonialer Bestrebungen entwickelt. Die Rede von Integration durch Fußball bzw. durch Sport sei nicht richtig: „Richtig ist Integration durch Erfolg, durch die geschossenen Tore.“ In Österreich ist hinsichtlich dieser Schlussfolgerung noch die Schlagzeile der Kronen Zeitung in Erinnerung, die während der Fußball-WM 1998 titelte: „Ivo, jetzt bist du ein echter Österreicher!“, nachdem der aus Kroatien stammende Stürmer Ivica Vastić den Ausgleich gegen Chile erzielt hatte.

Bella Bello Bitugu ergänzte, dass der Fußball ein Produkt sei, dass sich in seiner Geschichte stark gewandelt habe: „In seinen Anfängen wurde der Fußball durch den Kolonialismus auf die anderen Kontinente gebracht. Ziel des Kolonialismus war immer die Ausbeutung. Und auch im heutigen Fußball nutzen die Strukturen weder den afrikanischen Spielern noch den Gesellschaften. Allerdings wurde in vielen afrikanischen Ländern Fußball als Mittel zur Befreiung gesehen. Er war ein Platz der Versammlung, ein Platz des Austauschs und der Gründung politischer Befreiungsinitiativen. Auch der CAF war ein Produkt der Befreiung vom Kolonialismus.“

Für Henrie Dennis war es evident, dass der Kapitalismus einen hohen Stellenwert im Fußball habe. Daran könnten weder symbolische Politik und Zeichen noch symbolische Gesten etwas ändern, diese seien nur „Empty Performances“. Und weiter: „Aktivismus in kleinen Gruppen, in Safe Spaces hat keine Macht. Symbole bzw. symbolische Aktionen können auch Schaden anrichten, weil sie zur Ablenkung dienen. Das wird auch so bleiben, solange sich die Strukturen nicht ändern, wenn Schwarze keine aktiven Rollen als Coaches, im Vorstand, als Manager*innen bekommen.“

Ronny Blaschke stimmte Dennis zu, mit solchen Debatten erreiche man die Spitzen des Fußballs kaum; Freiwilligkeit reiche in diesem Bereich nicht aus: „Da ist Druck ist notwendig. Andere Länder, andere Sportarten sind da schon weiter, z.B. wurde 2003 in der NFL die Rooney Rule eingeführt, dass bei der Neubesetzung von Cheftrainerposten, zumindest ein Kandidat einer Minderheit zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden muss. Der englische Fußballverband hat das zumindest auf den unteren Ebenen übernommen. In Deutschland wird das nicht übernommen, in Österreich vermutlich auch nicht. Beim Wort Quote wird allergisch reagiert. Eigentlich müsste jeder Bundesliga Verein, die ja oft hunderte Mitarbeiter*innen haben, eine eigene Querschnittsabteilung für Antidiskriminierung, Gleichstellung und Nachhaltigkeit haben. Aber wir sollten nicht zu negativ sein, es gibt sehr viele gute Leute und viele gute Initiativen.“

Bella Bello Bitugu schließt seine Ausführungen versöhnlich ab: „Ich habe gute Erfahrungen gemacht, schlechte Erfahrungen gemacht, aber insgesamt sind diese eine Bereicherung für mein Leben gewesen.“

Diese Veranstaltung fand im Rahmen des Projekts „Sport für globale Gerechtigkeit“ statt und wird maßgeblich von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (ADA) gefördert.

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