Bye, bye Bafana Bafana

Der Afrika-Cup geht auf die Zielgerade: In Durban verabschiedet Kurt Wachter den Gastgeber aus dem Turnier, fragt nach der politischen Bedeutung des gelungenen Halbfinaleinzugs von Mali und stellt fest, dass Schwarz-Weiß-Denken auch in der Regenbogennation am Kap vorhanden ist.

Jetzt ist es schon wieder passiert. Südafrika hat sich gegen Mali aus dem Turnier verabschiedet, nach dem gleichen Drehbuch wie vor einem Jahr Gastgeber Gabun. Zuvor jedoch ist bei diesem Viertelfinale in Durban wirklich mal Party angesagt. Die 54.000 Plätze des coolen WM-Stadions sind auch wirklich gefüllt. Vor der Kulisse des riesigen Bogens, der die Spielstätte überspannt, werden vor dem Spiel spontane Gruppenfotos gemacht. In Durban sind die Fans im Gegensatz zu den Vorrundenspielen in Rustenburg und Mbombele (Nelspruit) zumindest optisch deutlich gemischter. Auffallend viele Weiße, dann die klassischen schwarzen Soccer-Fans und auch die in Durban stark vertretene indische Community ist gekommen. Alle in gelben Bafana-Shirts oder mit Nationalflaggen und natürlich den Vuvuzelas. Bei der Hymne kommt sogar leichte Gänsehaut auf. Die viel beschworene Regenbogennation existiert vielleicht wirklich, zumindest an diesem Samstagabend.


Niederlage mit Stolz
Südafrika macht über weite Strecken das Spiel und geht verdient auch in Führung. Eine Unachtsamkeit der Defensive nützt Malis Kapitän Seydou Keita für den billigen Ausgleich, fast unbehindert köpft er vom Fünfer zum 1:1-Ausgleich. Am Ende muss Südafrika dem hohen Tempo Tribut zollen und die schnellen Sturmläufe verebben zunehmend. Mali rettet sich in die Verlängerung und gewinnt das Elfmeterschießen. Überraschenderweise ist Südafrikas Coach Gordon Igesund in seiner Analyse sehr positiv: »Wir haben das Match über weite Strecken dominiert, wir hielten den Ball in unseren Reihen und ließen Mali kaum Räume und haben das Spiel nach 90 Minuten nicht verloren. Das ist die Art von Leistung, bei der du mit Würde und Stolz verlieren kannst.« Igesund, der seinen Job erst im Juli 2012 angetreten hat, meinte, in den insgesamt etwa 30 Tagen Trainingsarbeit hätte das verjüngte Team große Fortschritte gemacht. »Wir haben heute nicht gegen ein Blindenteam gespielt, sondern gegen die Nummer 25 der Welt«, so der Ex-Admiraner. Südafrika ist immerhin erstmals seit 2002 bei einem großen Turnier eine Runde weitergekommen.

Mali hingegen erreicht seit 2002 nun schon zum viertel Mal das Semifinale. Der frühere Barcelona-Star Seydou Keita wurde zum dritten Mal zum »Man of the Match« gekürt. In eine malische Fahne gehüllt, stellte er sich den Fragen der Journalisten. Ich spreche leider nicht Französisch, frage ihn aber nach der politischen Bedeutung dieses Erfolgs für sein Land angesichts des herrschenden Krieges. Leider ist die englische Übersetzung seiner Antwort so schlecht, dass ich den vollen Wortlaut erst am nächsten Tag auf vielen internationalen Websites nachlese: »Die malische Flagge weht nicht nur im Norden von Mali und nicht nur im Süden von Mali, sondern auch außerhalb Malis, das ist sehr wichtig. Nur Fußball schafft das.« Und: »Heute dürfen wir als Malier erhobenen Hauptes sein, wir sind stolz Malier zu sein. Ich denke, auch die Menschen in Mali sind heute stolz.« Davon kann man ausgehen. Das nationale Pathos ist aufgrund der drohenden Spaltung des Landes nachvollziehbar.


Südafrikanische Widersprüche
Die offene und multiethnische Atmosphäre in der Hafenstadt Durban mit ihren 2,5 Millionen Einwohnern unterscheidet sich deutlich von meinen bisherigen Stationen. Im Unterschied zu den Afrikaaner-Hochburgen Rustenburg und Nelspruit oder auch Pretoria sind hier die Elektrozäune niedriger, die Lokale schließen nicht schon um neun und man kann sogar nach Einbruch der Dunkelheit noch sicher auf die Straße – zumindest in einigen Stadtteilen. Und es ist gemischter: Im Spar-Supermarkt nebenan kassiert ein junger Weißer in einem grünen AmaZulu-Shirt, dem lokalen Verein der Premier Super League, und mit den Minibussen fahren auch ein paar Weiße. Das ist in den historisch von den Buren dominierten Landesteilen undenkbar.  Durban gehörte zur ehemaligen britischen Kolonie Natal und schon 1866, drei Jahre nach der Gründung der englischen FA, wurde hier das erste dokumentierte Fußballspiel auf dem Kontinent ausgetragen. 1882 gründeten weiße Siedler in Durban den ersten Fußballverband, die Natal Football Association. Meine These laut: Die Soccer-Affinität zumindest einiger Weißer ist dem englischen Kolonialerbe geschuldet.


Anderswo habe ich mit meiner Standardfrage »Are you interested in soccer?« bei Weißen oft nur Kopfschütteln geerntet. In Joburg meinte einer: »Ich mag nur die gewaltsamen Sportarten wie Rugby.« Fußball sei ihm zu langweilig. Die Hausherrin des Bed & Breakfast in Nelspruit zeigte sich zumindest interessiert, ihre Söhne würden aber leider Rugby spielen, obwohl Tennis und Golf doch viel gesünder wären. In Rustenburg residierte ich im Paul Kruger Guest House, benannt nach dem ersten Präsidenten der ersten unabhängigen Burenrepublik von 1883, der dort lange Jahre lebte. Die Buren oder Afrikaaner, wie sie sich selbst nannten, waren erbitterte Gegner der Abschaffung der Sklaverei. In Gespräch präsentiert mir der Besitzer sein gefestigtes Weltbild. Seine Vorfahren wären im 17. Jahrhundert aus Frankreich und Deutschland gekommen und hätten den Schwarzen das Wort Gottes und Frieden gebracht. »Die Schwarzen haben immer gekämpft und sich gegenseitig getötet und auch Vieh gestohlen. Und wir sind dazwischen gegangen«. Auch heute wären »sie« noch gewalttätig und brutal. Zum besseren Verständnis der »schwarzen« Mentalität empfiehlt er mir noch ein Buch. Der Titel: »The Capitalist Ni**er«. Österreich, so sagt der vielgereiste Mann, sei das schönste Land der Welt. Wer weiß, was genau er damit meint.

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