Bildungsarbeit mit Jugendlichen – Projekte müssen lokal zugeschnitten sein

Im Rahmen der Tatort Stadion Wien-Veranstaltungsreihe haben am 3. Oktober „Fachgespräche zu sozialpräventiver Fanarbeit – Bildungsarbeit mit jugendlichen Fußballfans“ im mo.ë stattgefunden.

Mit Korinna Dittrich (Fanbeauftragte Dynamo Dresden, ehemals Fanprojekt Dresden), Eva Feldman Wojtachnia (Lernort Stadion) und Nico Schneider (Show Racism the Red Card Deutschland) waren neben Lothar Jochade (Verein I.S.I.) und Armin Weber (Fanarbeit Innsbruck) nationale und internationale Expert_innen zum Thema geladen. Knapp 30 Besucher_innen folgten der von David Hudelist (pro supporters) geleiteten Gesprächsrunde.

 

Für Armin Weber, dem Leiter von Fanarbeit Innsbruck  – Sozialarbeit mit Fußballfans, ist Bildungsarbeit ein „sehr weit gefasster Terminus“. In Innsbruck gründete sich 1999 die Faninitiative Innsbruck, ein eingetragener Verein mit Statuten und den Zielen Toleranz und Antirassismus unter den Fußballfans zu promoten. Dies komme dem Bildungsauftrag nach, so Weber. Die Faninitiative Innsbruck machte sich beim Stadionbau des Tivoli Neu einen Namen, als sie sich für Stehplätze einsetzte. Des Weiteren war sie bei der Aufarbeitung der Geschichte des FC Wacker Innsbruck maßgeblich beteiligt. Mit der Fusion zwischen dem FC Wacker Tirol und dem „Fanverein“ FC Wacker Innsbruck schloss die Faninitiative mit dem neuen Verein eine Kooperationsvereinbarung ab. Die Namensrechte „FC Wacker Innsbruck“ bleiben im Besitz der Faninitiative zudem zahlt der FC Wacker Innsbruck jährlich eine fix vereinbarte Summe an die Faninitiative, um die Vereinsziele zu erreichen. Die Fanarbeit Innsbruck begann auf ehrenamtlicher Basis und hatte über drei Jahre Vorlaufzeit. Von 2008 bis 2011 wurde am Konzept, der Finanzierung und der Akzeptanz in der Fanszene gearbeitet.

 

Seit Dezember 2011 läuft die Fanarbeit Innsbruck professionell mit einem hauptamtlichen Mitarbeiter. Armin Weber betont, dass Fanarbeit „parteilich ist und dass wir als Interessensvertretung bei den Institutionen auftreten, um das bestmögliche für die Fans herauszuholen.“ Für Weber läuft Bildungsarbeit auf zwei Schienen. Einerseits kann Fanarbeit auf wissenschaftlicher Ebene Bildungsarbeit leisten, andererseits kann Bildungsarbeit mit der Basis, sprich direkt mit den Fans durchgeführt werden. Fanarbeit Innsbruck arbeitet auf beiden Ebenen. So veranstaltet die Faninitiative Innsbruck regelmäßige Lehrveranstaltungen an der Innsbrucker Universität und hat bereits zwei Publikationen herausgebracht. Sehr beliebt unter den Fußballfans sind die so genannten Rechtsinformationsabende, die mit einem Innsbrucker Anwalt durchgeführt werden. Zusätzlich hat die Fanarbeit Innsbruck einen Taschenanwalt produziert, der sich bei den Innsbrucker Fußballfans „großer Beliebtheit erfreut“, so der Fanarbeiter. Für Weber steht es außer Zweifel, dass nur „regional zugeschnittene Bildungsprojekte, die die Fans auch erreichen erfolgreich sein können.“

 

Korinna Dittrich aus Dresden gibt Einblick in die Fan- und Ultrakultur der SG Dynamo Dresden. Als Fanbeauftragte und ehemalige Fanprojektmitarbeiterin begleitet sie seit Jahren Fußballfans und Ultras von Dynamo Dresden und ist täglich mit Institutionen in Kontakt. „Die Vorbereitungen für die 60-Jahr-Choreographie haben ein Jahr gedauert. Es bedarf aber einer behördlichen Absegnung jeder Choreografie und jedes Spruchbandes. Unsere Aufgabe ist es als Vermittlungsinstanz zwischen den Interressensgruppen zu fungieren“, sagt die ausgebildete Sozialarbeiterin. Zu den Zielen von Fanarbeit zählen für sie die Entwicklung von demokratischen Werten unter den und das Empowerment von Fußbasllfans. Das Fanprojekt in Dresden verfügt über Fanräume, die auf die Bedürfnisse der Fanszene zugeschnitten sind. Das Fanprojekt Dresden bietet ein umfangreiches Bildungs- und Freizeitangebot, außerdem leisten die Mitarbeiter_innen Streetwork bei Heim- und Auswärtsspielen und bieten Beratungsgespräche und Einzelfallhilfe.

 

Das Stadion und die Fanräume werden auch für Bildungszwecke genutzt. Das Fanprojekt Dresden führt das Projekt „Denk-Anstoß“ durch, das Dittrich aufgebaut hat. Es geht auf eine ursprünglich englische Idee zurück, die das Lernen an außergewöhnlichen Orten propagiert. Eine Woche werden für Schülerinnen und Schüler der 7.-10. Schulstufe im Stadion die Möglichkeit soziale Kompetenzen und Toleranz gefördert.

 

Lothar Jochade, der Geschäftsführer vom Verein I.S.I. - "Initiativen für soziale Integration", der an 12 Standorten in Oberösterreich Streetwork für Jugendliche anbietet, strich das Beispiel in Ried hervor. Dort wurden nach Vorfällen beim Spiel Sturm Graz gegen SV Ried in der Saison 2007/08 insgesamt 28 Gerichtsbegleitungen von den beiden hauptamtlichen Mitarbeiter_innen von Streetwork durchgeführt. Die Streetworker_innen sind regelmäßig bei den Heimspielen der SV Ried im Fanblock zu finden und gehen ihrer Tätigkeit der niederschwelligen Sozialarbeit nach. Die Leiterin von Streetwork Ried ist selbst Fußballfan. „Ihre Affinität zu Fußball und der Fankultur ist ein großer Vorteil“, meint Lothar Jochade und fügt hinzu, „die Ziele sind mit denen von Dresden ident.“ Laut Jochade ist die Zusammenarbeit mit dem Verein SV Ried schlecht: „Erst seit der Intervention von Thomas Gaßler, dem Leiter von pro supporters – Koordination Fanarbeit Österreich, in der letzten Saison bekommen unsere Streetworker_innen Akkreditierungen. Zuvor wurden die Tickets aus der eigenen Tasche bezahlt.“

 

Nico Schneider von Show Racism the Red Card Deutschland (SRtRC) erklärt das Modell „Antidiskriminierungsarbeit trifft Fußball“, das von Fans für Fans angeboten wird. Show Racism the Red Card wurde in England gegründet, ist aber mittlerweile in verschiedenen europäischen Ländern in verschiedener Ausprägung tätig. In Deutschland wurde SRtRC im Jahre 2012 gegründet. Zielgruppe sind Kinder von 9-14 Jahren, die Themen reichen von antirassistischer Bildungsarbeit zu Diskriminierung, Rassismus und Neonazismus. Als Lernort wird ebenfalls das Stadion genutzt. „Das Stadion eignet sich hervorragend, denn es ist ein tolles Umfeld für Kinder“, weiß Schneider. Den Erfolg der Initiative führt Schneider auf zwei Faktoren zurück: „Wir arbeiten mit interaktiven Methoden wie Rollenspielen und Gruppenarbeit, außerdem laden wir immer Fußballer oder Trainer ein, die als Vorbilder fungieren und sich aktiv in die Workshops einbringen.“ Insgesamt haben die zwei Hauptamtlichen und 25 Ehrenamtlichen bereits 120 Workshops für jugendliche Fans durchgeführt. Schneider betont ausdrücklich, dass es nur Miteinander funktioniert: „Wir sind Fans und arbeiten mit den Fans und nicht gegen die Fanszenen.“

 

Das Langzeitprojekt „Politische Bildung im Lernort Stadion“ wurde von Eva Feldmann-Wojtachnia von der Forschungsgruppe Jugend und Europa der renommierten Ludwig-Maximilians-Universität München vorgestellt. An 12 ausgewählten Standorten werden in Zusammenarbeit mit 12 Fanprojekten deutschlandweit „Politische Bildungsprojekte im Lernort Stadion angeboten, um die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Jugendlichen positiv zu beeinflussen. Dresden gilt dabei als „Best-Practice-Beispiel. Überall läuft es aber nicht so gut“, weiß Feldmann-Wojtachnia. Finanziell wird das Projekt von der Robert Bosch-Stiftung getragen. „Lernort Stadion heißt das Stadion zu entdecken. In Workshops setzen wir unser Bildungskonzept um“, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität. Das Bildungskonzept beinhaltet zwei Bereiche: einen theoretischen mit der Vermittlung von Werten und einen praktischen mit sportlichen und körperlichen Betätigungen. In ca. 240 Veranstaltungen hat Lernort Stadion 8.000 Jugendliche erreicht, die zu „90% mit dem Angebot zufrieden waren“ ist Feldmann-Wojtachnia stolz.

 

In der anschließenden Diskussion wurden konkrete Lösungvorschläge für das „Entwicklungsland Österreich“ angedacht. Für Weber steht außer Frage, dass ein Bottom-Up Ansatz mit Sozialrbeiter_innen aus der eigenen Fanszene der Schlüssel zum Erfolg sei. Korinna Dittrich ergänzt, dass in Deutschland sehr viele Fanbeauftragte, die hauptamtlich arbeiten aus den Fanszenen kommen. In Österreich gilt es erstmals die Strukturen und die Rahmenbedingungen zu schaffen, um Fanarbeit überhaupt salonfähig zu machen. „pro supporters spielt hier eine entscheidende Rolle“, betont Weber. Feldmann-Wojtachnia findet es unter anderem wichtig Netzwerke mit den Vereinsverantwortlichen aufzubauen, um einen Basis zu legen. Jochade schließt mit einem Wunsch ans Christkind: „Sozialpräventive Fanarbeit soll von ÖFB und Bundesliga so wie in Deutschland in die Lizenzierungsauflagen aufgenommen werden.“ Im Publikum waren unter anderem Vertreter_innen von Streetwork Wien, der Bundesliga und Fans von St. Pölten, die ein Pilotbildungsprojekt mit Fußballfans planen.

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