Rückblick: Wiener Tagung zu Migration im europäischen Fußball

Wie viele Hamburger spielen eigentlich beim HSV? Wie viele Münchener bei den Bayern? Was hat Fußball noch mit regionaler Identität zu tun? Fragen, die Pierre Lanfranchi, Professor für Geschichte an der De Montfort Universität im englischen Leicester, bei der Tagung „Migration im europäischen Fußball“ in Wien locker ins Leere laufen ließ.

Lanfranchi wies eindrucksvoll nach, wie einst globale Wanderer den Fußball verbreiteten und nachhaltig bereicherten. „Wenn man heute Sachen hört wie ‚Inter Mailand hat zu viele Ausländer’ und Leute sich auf Tradition berufen“, sagt er, „dann muss ich dagegen halten und sagen, dass der Verein Inter so heißt, weil er für alle gegründet wurde und schon zu Gründungszeiten die unterschiedlichsten Nationalitäten vereinte.“ Und das war nicht nur bei Inter so. So gesehen wäre es interessant, das Spielerkarussell seit dem Bosman-Urteil als Berufung auf die internationalen Wurzeln des Fußballs zu betrachten.

 

Außerdem stellte Lanfranchi die Behauptung auf, dass die Einführung des „Fußballdeutschen“ und der seit 1998 ausgeprägtere Drang des DFB nach Talenten mit migrantischem Hintergrund ein Vorgriff auf die Änderung des Staatsbürgerschaftsrecht durch die Regierung Schröder war. Das Recht, das es möglich machte, dass der in Ghana geborene Gerald Asamoah Deutscher wurde. Fußball als gesellschaftlicher Modernisierungsfaktor?

 

Zwar gab es schon früher Ausnahmen – zum Beispiel war der Deutsche Rainer Bonhof, Flankengeber zum Siegtor im WM-Finale 1974 gegen die Niederlande, als Jugendspieler selbst noch Niederländer – aber erst mit der Regierung Schröder wurde systematisch mit einer Kontinuität gebrochen, die quasi seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 galt. Mittlerweile haben zwei Drittel der eingesetzten DFB-U19-Auswahlspieler Namen, die auf ihre migrantischen Hintergründe verweisen.

 

Integration in den Amateurligen

 

Je höher die Liga, desto weniger Diskriminierung erfahren Spieler, das haben diverse Studien in Deutschland festgestellt. Deswegen richtete der Soziologe und Migrationsexperte der Projektgruppe Flutlicht (<link http://www.flutlicht.org/ _blank>www.flutlicht.org</link>), Gerd Dembowski, auf dem Wiener Podium den Blick auf die unteren Ligen. „Es ist traurig“, so Dembowski, „dass es ethnischen Klubs nicht in jedem europäischen Land erlaubt ist, am Ligabetrieb teilzunehmen.“ Laut Dembowski bedeuten ethnische Vereine in Deutschland nicht Abschottung, da sie bewusst Ligen mit den deutschen, den sog. autochthonen Klubs teilen und diese auch als Gastgeber empfangen. Migranten gründen Vereine, weil sie Ablehnung oder Diskriminierung erfahren und das Gefühl bekommen, nicht ganz dazu zu gehören. Auch können religiös-kommunikative Gründe eine Rolle spielen: „Für einen Teil war es auch jenseits der 90 Minuten nicht einfach, neben der starren Situation aus Bratwurst, Bier und deutschem Liedgut einen Platz zu finden.“ Es sei nachvollziehbar, dass sie in ihrer Freizeit mit Leuten zusammenspielen wollen, die ihre Erfahrungen teilen. Wenn andere Gruppen sich zu einem Fußballteam zusammentun, sei das für niemanden ein Problem, „nur bei Migranten heißt es dann vorschnell und verallgemeinernd: Die wollen nichts mit uns zu tun haben.“ Dabei bedeutet Integration, dass vor allem auch die Mehrheitsgesellschaft Neuem offen gegenüberstehen und die Bedürfnisse der hinzu kommenden Minderheit ernst nehmen sollte.

 

Der Handel mit afrikanischen Talenten

 

Ein Showdown der Tagung war die Podiumsdiskussion „Der europäische und globale Spielermarkt“. Spielervermittler Nick Neururer, spezialisiert auf afrikanische Spieler und u. a. als Sichter für Freiburg und Celtic unterwegs, ließ sämtliche Kritik an sich abprallen: „Die Rede vom Sklavenmarkt – das ist nichts als ein sensationslüsterner Mythos.“ Durch die neuen FIFA-Regelungen zur Prüfung von Spielervermittlern und Transfergeschäften sei alles unter Kontrolle, auch wenn es vereinzelt Missbrauch gäbe. Den brachte Kurt Wachter vom österreichischen Football Against Racism in Europe-Partner FairPlay-vidc  auf den Punkt. Seitdem die FIFA es verboten hat, dass Afrikaner unter 18 Jahren nach Europa wechseln, wechseln sie eben aus fadenscheinigen Gründen, die zunächst einmal nichts mit Fußball zu tun haben. Studienaussichten in Europa würden dann etwa vorgeschoben. Des weiteren versuche sich gerade die Firma Red Bull aus purer Kommerzialität mit Talent-Academys, in denen Kurt Wachter die Fortsetzung kolonialer Rohstoffpolitik sieht. „Niemand ist interessiert, dem afrikanischen Fußball etwas zurückzugeben, Voraussetzungen und Strukturen dort zu verbessern.“ Letztendlich rutschte es Neururer heraus: „Für viele gibt es nur eine Regel: Profit“. Umso bedauerlicher, dass Jean-Claude Mbvoumin von Culture Food Solidaire aus Paris krankheitsbedingt abgesagt hatte. Er hätte von den ca. 700 Fällen in Frankreich und den 450 Fällen in Belgien berichten können, von den jungen Spielern, die nach Europa gebracht und dann dort allein gelassen wurden.

 

Studie zur Migration im österreichischen Fußball nach 1945

 

Der zweite Tag der Tagung widmete sich vor allem der Migration im österreichischen Fußball nach 1945. Barbara Liegl vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte, Zivilcourage und Antirassismus-Arbeit und Georg Spitaler von der Universität Wien zeigten in ihren Forschungsergebnissen, dass Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien den größten Anteil der Profi-Nomaden ausmachten. Das hat viel mit der geografischen Nähe und dem speziellen dritten Weg zu tun, den der jugoslawische Sozialismus zwischen Kapitalismus und sowjetisch bestimmten Ostblock wählte. Während es in Österreich immer Parallelen von Arbeitsmarkt und Fußball-Arbeitsmarkt gibt, fällt die Unterrepräsentanz türkischer Kicker gemessen am Bevölkerungsanteil auf. Hier gebe es integrativen Nachholbedarf. Unfassbar ist eine Regelung, die einem Verein drastische Strafen bzw. Spielersperren androht, wenn er in der Jugend mehr als vier Jugendliche einsetzt, die keinen österreichischen Pass haben. Inzwischen hat sich der Ausländeranteil in Österreichs höchster Liga bei 40 % eingependelt. Es werden Belohnungen an Vereine gezahlt, die mehr Österreicher einsetzen. Interessant ist, wie sehr sich der in Deutschland mehr und mehr verpönte Begriff „Legionäre“ in Österreich als Standardbezeichnung im Alltag hält. Liegl und Spitaler berichten von gängigen Vorurteilen und latentem Rassismus, wobei „die Jugos“ mentalitätsschwach seien, für mehr Geld sofort ihren Verein wechselten und dass zu viele Ausländer Schuld am schwachen Spiel der österreichischen Nationalmannschaft seien. Dabei fand Spielervermittler Nick Neururer lukrative Vereinswechsel ganz normal und sieht Österreich generell eher als eine Art Durchlauferhitzer für Profi-Nomaden: „Ich ermutige meine Klienten nicht, in Österreich zu bleiben“, sagte er mit einem Augenzwinkern, „sondern so schnell wie möglich hier raus zu kommen.“

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