Club 2x11 - Heldin oder Pfosten? - Nachbericht

Eindrücke von der letzten Fußballdiskussion zur sonderbarsten Position im Fußball, dem Leben im Tor.


Goalies everywhere!

Am 17. April ging erneut eine Club 2x11 Diskussion über die Bühne, die sich dieses Mal ganz den Personen im Tor widmete. Moderatorin Mareike Boysen (Verein Wir Frauen im Sport) teilte die Veranstaltung in zwei Hälften und lud die Gäste in der Pause ein, sich zu laben: „Das wird die Stimmung sicher noch heben."
Auf dem Podium nahmen Milan Radin (Autor von „Der Tormann"), Christian Kössler (Tormann im Autorennationalteam und Autor von „Ein Tor ist, wer im Tor isst!"), Mariella El Sherif (Torfrau SK Sturm Graz + U19 Nationalteam) und Raimund Hedl (Tormann/-frautrainer und Trainer*innenausbilder; ehemaliger Bundesliga-Tormann) Platz.

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Der mehrsprachige Milan Radin denkt beim Schreiben in Bildern und übersetzt dann in die Sprache, in der er gerade schreibt. Zum Fußball und den Torleuten hatte er folgende Gedanken: „Fußball ist ein Sport ohne Sprache, der eine Ball ist die geheime internationale Sprache. Torleute haben das Spiel vor sich, dirigieren es, leben eine Null-Fehler-Kultur wie Piloten und verkörpern das philosophische Element. Torleute machen viel weniger Fehler als Feldspieler, brauchen ein stärkeres Selbstwertgefühl, weil dieser eine Fehler dann sichtbar und entscheidend ist und in Erinnerung bleibt." Helmuth Duckadam, Proponent des Buches von Milan Radin, sieht gerade hier einen gewissen unfairen Part im Fußball. Torleute sind kaum sichtbar, erst wenn sie Fehler machen, rücken sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Nicht umsonst tragen sie aber oft Kapitänsschleifen, das hat mit ihrer mentalen Stärke zu tun, die in dieser Position gefragt ist.
Helmuth Duckadam wurde 1986 übrigens Meistercup-Sieger gegen Barcelona und hielt alle 4 Elfmeter! Bis heute hält er damit einen Rekord und ist im damit Guinness World Records Book vertreten.

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Christian Kössler, ebenfalls Autor und auch selbst Tormann, gab zu, besser schreiben als kicken zu können. Für ihn ist die Position des Tormanns bzw. Torfrau die interessanteste Position am Spielfeld. Wie Radin will er daher mit seinem Buch einen Beitrag leisten, um das Vorkommen des Fußballs und vor allem die Sichtbarkeit der Torleute in der Literatur zu erhöhen.
Willi Kaipel, ehem. Tormann und Trainer in der Bundesliga und Trainer des österreichischen Autorenteams, ist für Christian Kössler Freund, Held und Legende. Auch wenn Kaipel den Legendenstatus ablehnt, denn diese seien 'meistens schon g'storben'.

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Raimund Hedl betonte, dass die Realität oft schlimmer sei als die Literatur, während Mariella El Sherif über die Vorurteile gegenüber Frauen im Fußball berichtete. Sie steht seit ihrem 5. Lebensjahr im Tor, ihre Stärke ist aber auch ihr Fuß, der neben ihrer psychischen Stärke extrem wichtig fürs Offensivspiel ist. Die Freude am Spiel steht bei ihr im Vordergrund, kaum jemand in Frauenfußball wechsle den Verein wegen des Geldes. Sie begrüßt, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für Frauenfußball glücklicherweise immer weiterwächst. Letzte Woche hat sie sich mit dem U19 Team für die Europameisterschaft 2024 qualifiziert.

Mariella El Sharif betrachtete die Situation aber sehr differenziert und sprach nicht nur über gesellschaftliche Vorurteile, sondern vor allem auf die schlechteren Strukturen, Trainingsbedingungen etc. hingewiesen. Wobei die Infrastruktur, Trainer*innenteam, Ausbildung, Weiterentwicklung und Wettbewerb in der Akademie in St. Pölten sehr gut seien. El Sharif pendelt nach den Spielen mit ihrem Verein SK Sturm Graz am Wochenende in die Akademie, wo sie mit anderen Bundesliga-Spielerinnen trainiert und ihre Ausbildung absolviert. Sie schilderte sehr deutlich, dass vermeintliche Fehler von Torleuten oft Kollektivversagen sind, und dass sich die (mediale) Aufmerksamkeit zu oft auf das Negative fokussiert, statt eine Gesamtleistung anzuerkennen. Bei Elfmetern könne sie als Torfrau nur gewinnen, und für Elfmeterschießen brennt sie ohnehin, ganz ähnlich wie der von Radin literarisch verewigte Rekordhalter Duckadam.

Raimund Hedl nannte in der Diskussion die gestiegenen und hoch komplexen Aufgaben und Anforderungen für Tormänner und -frauen, die Dauerbeobachtung und genauste Messung aller Leistungen und Teilkompetenzen, die strenge Auswahl und vor allem die sogenannten „K.O.-Kriterien“ (wie z.B. die Körpergröße), die schon den (männlichen) Nachwuchs treffen. Für Hedl ist es kurios, dass Torleute oft auf dem im schlechtesten Zustand befindlichen Stück Rasen trainieren müssen, und erzählte von Trainingseinheiten auf Parkplätzen. Natürlich fiebert er mit und macht sich Sorgen um seinen Sohn Niklas (derzeit Stammtorhüter bei SK Rapid Wien), der allerdings genau die Überzeugung und das Selbstbewusstsein mitbringe, die ein Tormann brauche. Die Anforderungen in Bezug auf die sogenannte mentale Stärke und Stabilität sind gerade bei Torleuten sehr hoch und werden auch nach tragischen Ereignissen, wie Robert Enkes Suizid vor ein paar Jahren, offenbar wenig hinterfragt.

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Schön war's, wir freuen uns auf weitere anregende Gespräche zu unserem liebsten Sport im nächsten Club 2x11!

Den Club als Podcast zum Nachhören findet ihr hier:

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Der Club 2×11 ist eine Veranstaltung der Büchereien Wien, der fairplay Initiative, tipp3, Wir Frauen im Sport und des ballesterer. 

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