Afrika Cup 2022 - Neue Narben und Lichtblicke

Nachbericht von Kurt Wachter zum 33. Afrika Cup im aktuellen ballesterer #168.

Neue Narben und Lichtblicke

Acht Menschen kamen bei der Stadionkatastrophe von Yaounde ums Leben. Während Turnierleitung und Kontinentalverband die Verantwortung für das Unglück abstreifen wollten, wurde der Afrika-Cup weitergespielt – er endete mit einem neuen Turniersieger versöhnlich.

Text: Kurt Wachter

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In der weitläufigen Fanzone neben dem Place de l’Independance in Yaounde werden Fleischspieße und Kochbananen gegrillt. Tische und Sessel sind hergerichtet, die Bühne in den kamerunischen Landesfarben dekoriert. An diesem Montagnachmittag ist alles bereit für den perfekten Turniertag. Der Gastgeber des Afrika-Cup steht als Gruppensieger im Achtelfinale. Dort wartet das Überraschungsteam der Komoren.
Wer ein Ticket hat, macht sich an diesem 24. Jänner auf den Weg zum Olembe-Stadion. Erstmals wird die moderne, 60.000 Zuschauer fassende Arena annähernd voll besetzt sein. Pandemiebedingt sind 48.000 zugelassen. 249 Millionen Euro hat das Stadion gekostet, das offiziell nach dem 89-jährigen autokratischen Präsidenten Stade Paul Biya heißt. Es soll das Aushängeschild Kameruns werden. Beim Anpfiff um 20 Uhr ist die Stimmung ausgelassen, die Ränge sind gut gefüllt. Im Tor der Komoren steht der linke Verteidiger, da die drei Tormänner coronapositiv oder verletzt sind. Nach einer frühen Roten Karte für Gästekapitän Jimmy Abdou geht die Welle durch das Oval. In der 29. Minute trifft Kamerun zur Führung und gewinnt am Ende 2:1. Alles läuft nach Plan.
Fans, Spieler und Journalisten wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sich unmittelbar vor Anpfiff die größte Katastrophe in der Geschichte des Bewerbs ereignet hat. Aufgrund des großen Andrangs am Südeingang ist das Tor verschlossen worden. Nachdem die Fans immer ungeduldiger werden und von hinten immer mehr Leute nach vorne drängen, wird es von Gendarmen wieder geöffnet. Im folgenden Ansturm kommen acht Menschen ums Leben. 

Verantwortungslose Organisation

Am Tag nach dem Unglück beginnen die Schuldzuweisungen. Für Sportminister Narcisse Kombi ist klar: Fans, die sich spät und unberechtigt Zugang hätten verschaffen wollen, sind verantwortlich. Kombi, Vorsitzender des lokalen Organisationskomitees, kündigt für das Viertelfinale zwischen Kamerun und Gambia verschärfte Sicherheitsmaßnahmen an, um „unzivilisiertes Verhalten von Kamerunern zu stoppen, die sich ohne Ticket ins Stadion drängen wollen“. Antworten auf fundamentale Fragen bleibt der Minister schuldig: Warum haben die Zugangskontrollen versagt, warum wurden die vielen Fans nicht zu anderen Eingängen umgeleitet, warum gab es so wenig Sicherheitspersonal vor Ort?
„Es ist jetzt nicht die Zeit, mit dem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen“, sagt CAF-Präsident Patrice Motsepe – und tut dann bei seiner Pressekonferenz genau das. „Das lokale Organisationskomitee ist verantwortlich für die Sicherheit, wir von der CAF beraten nur.“ Eine Absage des Turniers kommt nicht infrage. Der südafrikanische Bergbautycoon Motsepe schwärmt stattdessen von der Kraft des Fußballs, der die Menschen über alle Hautfarben hinweg zusammenbringe. Das Turnier wird nicht einmal unterbrochen. Bis zur Klärung der Ursachen des tödlichen Gedränges untersagt die CAF lediglich Spiele im Olembe-Stadion. Schon am Abend geht im kleineren Ahmadou-Ahidjo-Stadion in Yaounde das Achtelfinale zwischen Marokko und Malawi über die Bühne. Es gibt eine Schweigeminute für die Opfer, und auf den Werbebanden steht „Beileid an die Familien der verstorbenen Zuschauer“. Die Show muss weitergehen.

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Ignorante CAF

Der Versuch der CAF, die Verantwortung auf die lokalen Organisatoren abzuwälzen, ist unredlich. Denn wie oft hatten die Gastgeber mit Zuschauermengen jenseits der 50.000 zu tun? Beim letzten WM-Qualifikationsmatch waren gerade einmal 25.000 Fans im Stadion und im Spiel davor 10.000, beide Spiele fanden in Douala statt. Jonathan Wilson, einer der wenigen europäischen Journalisten vor Ort, schreibt im Guardian: „Es ist die CAF, die alle zwei Jahre Turniere veranstaltet und die Erfahrung hat. Sie kann nicht so tun, als ob sie das Blutbad nichts anginge, und die Verantwortung abschütteln.“ Doch die CAF hat schon in der Vergangenheit zynisch agiert. Zwei Tage vor dem Afrika-Cup 2010 in Angola wurde der Mannschaftsbus von Togo in der Exklave Cabinda angegriffen. Im Kugelhagel starben drei Menschen, darunter der Co-Trainer. Das traumatisierte Team erklärte daraufhin den Rückzug vom Afrika-Cup, die CAF zeigte dafür wenig Verständnis und sperrte Togo zunächst für die beiden kommenden Turniere.

Ignoranz demonstriert die in Kairo angesiedelte CAF auch im Umgang mit dem Bürgerkrieg im Westen Kameruns. In den beiden englischsprachigen Regionen an der Grenze zu Nigeria leben etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Der französisch dominierte Zentralstaat bekämpft die anglophone Unabhängigkeitsbewegung, die für einen eigenständigen Staat Ambazonia eintritt, mit harter Hand. „Wir werden von den Frankophonen unterdrückt, offiziell sind wir ein zweisprachiges Land, aber alles ist auf Französisch“, sagt Francis Amungwa, während in einer Bar in Douala das Spiel Burkina Faso gegen Tunesien im TV läuft. Er stammt aus dem englischsprachigen Teil Kameruns und ist wie 700.000 andere aus seiner Heimat vertrieben worden. Laut Human Rights Watch wurden in dem Konflikt bislang 4.000 Zivilisten getötet.
Ungeachtet des Bürgerkriegs wurde Limbe-Buea im Südwesten zu einem der Spielorte des Turniers bestimmt. Die Teams der Gruppe F – Tunesien, Mali, Mauretanien und Gambia – trainierten in Buea und spielten im Küstenort Limbe. Im Vorfeld warnten die Amba Boys, wie die bewaffneten Kämpfer genannt werden, davor, dort Spiele auszutragen. Von der CAF wurde den Journalisten zugesichert, dass sie nichts zu befürchten hätten. Doch am Tag des ersten Gruppenspiels zwischen Mali und Tunesien griffen die Separatisten in Buea Regierungstruppen an. Ein Polizist wurde durch einen Sprengsatz getötet. Daraufhin kam es zu einem Schusswechsel, bei dem laut Radio France International ein Taxifahrer und sein Fahrgast starben. Das malische Team, das nur einen Kilometer entfernt im Molyko-Stadion trainierte, brach das Training ab. Das Spiel im benachbarten Limbe fand aber wie geplant statt. 

Bälle und Bücher

Trotz der tragischen Ereignisse war der heurige Afrika-Cup ein Turnier, das von vielen Fans auf dem Kontinent sehnsüchtig erwartet wurde – und das seine Lichtblicke hatte: So stand beim Gruppenspiel von Simbabwe gegen Guinea erstmals in der Geschichte des Turniers ein rein weibliches Schiedsrichterteam unter der Leitung von Salima Mukansanga auf dem Platz. In Garoua im Norden Kameruns erlebten die Mädchen des Fußballteams aus dem Flüchtlingslager Minawao ihr persönliches Turnierhighlight. Als Kinder sind sie vor der islamistischen Terrormiliz Boko Haram aus Nigeria nach Kamerun geflohen, nun durften sie Nigeria im Spiel gegen den Sudan im Stadion unterstützen – und nutzten die mediale Aufmerksamkeit in eigener Sache. Die 18-jährige Lucy Petros sagte der AFP: „Mein Traum ist es, Ärztin zu werden. Wir brauchen hier im Lager nicht nur Fußbälle, wir wollen auch Bücher.“
Sportlich bot der Afrika-Cup in der Gruppenphase zunächst schmale Kost: 15 der 36 Spiele endeten 1:0 – der Turniermodus, bei dem auch die besten Gruppendritten aufsteigen, befördert risikoarmes Spiel. Aber dennoch gab es spielerische Höhepunkte. Sierra Leone hatte sich seit 1996 nicht mehr qualifiziert. Das zusammengewürfelte Team agierte überaus smart und trotzte Algerien ein Unentschieden ab. Beim 2:2 gegen die Stars der Elfenbeinküste glänzten die Westafrikaner mit einem explosiven Abschluss von Musa Kamara, der bei Bo Rangers in der lokalen Liga spielt, und dem Ausgleich durch Alhaji Kamara in der 93. Minute. Malawi, das davor noch nie ein Achtelfinale erreicht hat, ging nach sieben Minuten gegen geschockte Marokkaner in Führung: Gabadinho Mhango ließ PSG-Verteidiger Achraf Hakimi aussteigen und traf aus gut 40 Metern ins Kreuzeck. Auch Turnierdebütant Gambia, der sich als 150. der FIFA Weltrangliste bis ins Viertelfinale spielte, begeisterte. Das war auch ein Verdienst von Tormann Baboucar Gaye vom deutschen Viertligisten FC Rot-Weiß Koblenz.

Der wichtigste Titel

Das Finale zwischen Ägypten und Senegal wartete dann mit den großen Namen auf: Mit Mohamed Salah auf der einen Seite und Kalidou Koulibaly und Sadio Mane auf der anderen standen sich die Stars des Turniers gegenüber. In 120 Minuten fiel kein Tor, Senegal vergab Chance um Chance, auch weil Ägyptens Tormann Gabaski in der vierten Minute einen Elfmeter von Mane hielt. Im Elfmeterschießen schienen plötzlich die Ägypter in die Favoritenrolle zu wechseln, schließlich handelt es sich um ihre Paradedisziplin. Außerdem hatten die Senegalesen bisher jedes Finale verloren, 2019 scheiterten sie an Algerien, 2002 vergab der heutige Teamchef Aliou Cisse den entscheidenden Elfmeter gegen Kamerun. 2022 allerdings wurde eine andere Geschichte geschrieben: Senegal gewann erstmals den Afrika-Cup. Turniersieger Cisse steht stellvertretend für den Siegeszug der afrikanischen Trainer. Er war einer von 15 Teamchefs, die aus dem Land kommen, das sie trainieren. „Das ist der wichtigste Pokal meiner Karriere“, sagte Mane, der mit Liverpool schon die Champions League und die Premier League gewonnen hat. Das Finale bildete auch dank der Bilder des überschwänglichen Jubels des Teams in Kamerun und seiner Fans in Senegal ein versöhnliches Ende.

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Der 33. Afrika-Cup wurde gegen den Widerstand der europäischen Klubs durchgeführt, seine Zukunft steht aufgrund der Diskussion um häufigere Weltmeisterschaften in den Sternen. Vielleicht bleibt für das Turnier im überfüllten Spielplan der FIFA keine Zeit mehr, vielleicht gewinnt der Afrika-Cup aber gerade durch seine Infragestellung auch an Bedeutung. Angesichts der politischen Krisen und der wirtschaftlichen Unsicherheiten auf dem Kontinent scheint das Turnier wichtiger denn je zu sein. 

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