Hoch lebe der Sport?

So detailliert über Handel und Unternehmensrettungen gesprochen wird, so groß ist das Schweigen über den Sport – den Breitensport um genau zu sein.

Ein Kommentar von Nikola Staritz

Stille auf der Schmelz

Was ist Gesundheit? Diese Frage stellt sich angesichts des „Hochfahrens“ der österreichischen Wirtschaft nach dem Corona-Lockdown ganz besonders. Ist es die einfache Tatsache, nicht an Corona zu erkranken, konsumieren und verkaufen zu dürfen, Schuljahre abschließen und die Startplätze im internationalen Fußballgeschäft besetzen und damit Gelder für einzelne wenige Vereine lukrieren zu können? Oder inkludiert unser Begriff von Gesundheit auch, dass Menschen, und hier vor allem Kinder und Jugendliche, nicht mehr als absolut notwendig in ihrer psychosozialen, emotionalen und körperlichen Entwicklung gestört werden? Dass alle Menschen – und nicht nur Spitzensportler_innen – sich miteinander bewegen, sich körperlich austoben, können, aus Spaß an der Freude? Dass Kinder mit anderen Kindern spielen können, ihre Freund_innen sehen, raus aus ihrer Isolation  – und stattdessen rein auf die Spiel – und Fußballplätze dieses Landes dürfen?

Wenn über Sport in Corona-Zeiten diskutiert wird bzw. Medien das Thema aufgreifen, dann geht es meist um die Top-Ligen und ob sie abgebrochen oder fertig gespielt werden, ob es in der Formel 1 Geisterrennen geben soll oder nicht.  Am 15. April präsentierte Sportminister Werner Kogler (Die Grünen) bei einer Pressekonferenz mit Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) die nächsten Schritte für den österreichischen Sport im Rahmen eines nachvollziehbaren, aber wagen Stufenplanes, der in etwa so beschrieben werden kann: Outdoor vor Indoor, Einzel- vor Teamsport, implizit auch Leistungs- vor Breitensport. Und jene, die es sich leisten können, sich selbst testen zu lassen, also in erster Linie Vereine der Männerbundesliga vor jenen, die sich momentan schwer tun, überhaupt ihre Ausgaben zu begleichen. Dazu zählen alle anderen Fußballvereine. Doch inwiefern betreffen die dort präsentierten Maßnahmen die Praxis jener 2.970.029 Mitglieder der 14.208 Vereine in Österreich (Quelle: Mitgliederstatistik der Sport Austria 2020), die den österreichischen Sport doch eigentlich ausmachen ?

Wenn es um Integration, Gesundheit, soziales Miteinander im Allgemeinen geht, wird gern und zu Recht der enorm wichtige Beitrag des Breitensports bemüht, wo sich im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen die verschiedensten Menschen auf einer Ebene begegnen können – doch wo findet sich das jetzt, in einer „Krisenzeit“, wieder? Sind Gesundheit, Integration, unser gesellschaftlicher Zusammenhalt jetzt weniger wert? Gerade jetzt, wo Kinder und Jugendliche, sowie deren Familien generell sozial benachteiligt sind, und Gefahr laufen, schulisch und sozial abgehängt zu werden, wird ihnen auch jener Ort genommen, an dem viele dieser Jugendlichen Anerkennung und soziale Inklusion fanden, nämlich der Sport. Die meisten Kinder und Jugendlichen gehen nicht allein oder mit ihren Eltern laufen, oder spielen gar Golf. Die meisten Kinder und Jugendlichen bewegen sich gemeinsam, im Kollektiv, sei dies in Sportvereinen, Bewegungskursen oder im Schulsport.

Die weitere Aufrechterhaltung von Maßnahmen wie Abstand halten, die Einschränkung sozialer Kontakte etc., scheint unumgänglich. Das erklärt aber nicht warum bestimmte gesellschaftliche Bereiche in den täglichen Pressekonferenzen nicht einmal Erwähnung finden (z.B. die Kindergärten und der Breitensport). Wenn man den Breitensport und seine wesentliche Rolle, was die Inklusion und das Wohlbefinden, Respekt, Vielfalt und das soziale Lernen betrifft, und was es bedeutet, wenn dieses Feld nun über längere Zeit gesperrt bleibt, zumindest ansprechen und diskutieren würde, und dem Breitensport und seinen Akteur_innen damit jene Anerkennung geben würde, die er verdient, dann wäre immerhin ein erster Schritt getan.

Wie so oft geht es um Prioritäten und Interessen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zweihundert Erwachsene und Kinder dürfen sich in und vor österreichischen Baumärkten befinden – warum können dann nicht dreißig mit gegebenem Abstand am Fußballplatz stehen und Ballübungen  machen? Gerne gestaffelt und reduziert, um Ansteckung möglichst hintan zu stellen, aber dennoch gemeinsam und an der frischen Luft, mit ihren Freund_innen und Trainer_innen, um ganz nebenbei endlich wieder einmal etwas unternehmen zu können, ohne Eltern und ohne Schule?

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Wo Leistung (Stichwort: Matura), internationale Wettbewerbsfähigkeit und Geld (Stichwort: Fußball Bundesliga der Männer, Finanzspritzen für Großkonzerne) oder Konsum (Stichwort: Handel) im Spiel sind, gibt es seit Wochen bis ins kleinste Detail geplante Szenarien der „Wiederauferstehung“. Kaum Erwähnung findet aber all jenes, was mit demokratischen Grundrechten (z.B. Demonstrationen) oder mit sozialem und emotionalem Wohlbefinden bzw. psychologischer Entwicklung, „Gesundheit“ im breiteren Sinne, umschrieben werden könnte.

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